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Grafik: APA

Wien - Wenn es um die Zahl der Arbeitslosen geht, ist Österreich Europas Vorzeigeland. Über das Gesamtjahr betrachtet, gibt es laut der Statistikbehörde Eurostat seit 2010 keinen anderen EU-Staat, in dem die Arbeitslosenquote derart niedrig gewesen wäre. Doch Ökonomen der Denkfabrik Agenda Austria haben nachgerechnet und kommen zu teils erstaunlichen Ergebnissen über die wahre Zahl der Arbeitslosen in Österreich.

Demnach gibt es in Österreich 250.000 versteckte Arbeitslose, die meisten von ihnen sind zwischen 55 und 64 Jahre alt. Rechnet man sie in die Statistik mit ein, wäre Österreichs Arbeitslosenquote im ersten Quartal 2013 nicht bei 5,1, sondern bei 10,3 Prozent gelegen. Im Europavergleich stünde die Republik zwar immer noch gut da, den Spitzenplatz in der EU wäre man aber los. Die am Montag - also in der Endphase des Wahlkampfes - präsentierten Berechnungen der Agenda Austria haben einiges Unbehagen ausgelöst.

Widerspruch

Agenda Austria ist eine von Industriellen und vermögenden Privatleuten finanzierte Forschungseinrichtung, und im roten Sozialministerium fühlten sich einige, nach dem Motto "Da will uns einer die guten Zahlen madig machen" auf den Schlips getreten. Das Ministerium stellte daher prompt klar, dass man natürlich keine Zahlen schöne, sondern die offiziellen Eurostat-Daten nutze. Aber welcher Statistik soll man nun glauben? Tatsächlich haben beide etwas für sich.

Die Mitarbeiter von Agenda Austria greifen mit ihren Berechnungen auf ein altes Problem zurück. Offizielle Arbeitslosenstatistiken werden auf Grundlage einer Unterscheidung zwischen Erwerbstätigen und Nichterwerbstätigen berechnet. Zu den Erwerbstätigen zählen neben den Beschäftigten (Voll- und Teilzeit) auch Arbeitslose, die aktiv einen Job suchen. Klassische Nichterwerbstätige sind Kinder. 

In Zeiten der Hochkonjunktur zeigt sich regelmäßig, dass die Beschäftigung stärker zunimmt, als die Arbeitslosigkeit abnimmt. Werden zehn neue Jobs geschaffen, gibt es in der Statistik nicht gleich zehn Arbeitslose weniger. Dieser Unterschied lässt sich nur erklären, wenn zur Gruppe der Nichterwerbstätigen viele arbeitswillige Menschen gehören.

Hochrechnung

Mithilfe von Modellrechnungen, wie sie nun auch Agenda Austria angestellt hat, kann versucht werden, die versteckte Arbeitslosigkeit hochzurechnen. In die Gruppe der verdeckten Arbeitslosen gehören unfreiwillige Frühpensionisten ebenso wie Menschen in Ausbildung und Arbeitslose, die ihre Suche nach einem Job aus Frustration aufgegeben haben.

Die Arbeitslosenstatistik von Eurostat erfasst diese Gruppe zunächst nicht. Eurostat berechnet seine Zahlen auf Grundlage tausender Haushaltsbefragungen - allein in Österreich sind es 1500 pro Woche. Als erwerbstätig gilt bei Eurostat, wer in der Woche mindestens eine Stunde arbeitet. Als arbeitslos gilt, wer keinen Job hat, aber aktiv sucht.

Eurostat Schönfärberei vorzuwerfen wäre dennoch falsch. Im Zuge der Befragungen ermittelt Eurostat nämlich auch die Zahl der Menschen, die arbeiten wollen und arbeitsfähig wären, aber nicht aktiv nach einem Job suchen. Zu dieser "stillen Reserve" zählten in Österreich zuletzt 126.000 Menschen.

"Diese Zahl gibt es, die Medien interessieren sich nicht für sie", sagt Melitta Fasching von der Statistik Austria zutreffend. Aber warum wird die stille Reserve nicht in die offizielle Arbeitslosenstatistik eingerechnet? "Die stille Reserve ist keine homogene Gruppe - zu ihr zählen Pensionisten ebenso wie Studenten und Eltern, die ihre Kinder betreuen", sagt Fasching, es mache "wenig Sinn, sie mit klassischen Arbeitssuchenden in einen Topf zu werfen". (András Szigetvari, DER STANDARD, 26.9.2013)