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Gefangenenlager Guantanamo: Synonym für unmenschliche Behandlung

Foto: John Moore/ Getty Images

Militärdokumente WikiLeaks enthüllt Guantanamo-Geheimnisse

Es sind mehr als 700 Dokumente - und sie geben detaillierte Einblicke in die Vorgänge und Praktiken im Gefangenenlager Guantanamo: Das Portal WikiLeaks hat umfangreiche Unterlagen des amerikanischen Militärgeheimdienstes veröffentlicht. Sie belegen, dass viele Inhaftierte zu Unrecht festgehalten wurden.

Hamburg - Wenig dringt aus dem umstrittenen Gefangenenlager Guantanamo nach draußen. Nun wurden über WikiLeaks geheime Dokumente veröffentlicht, die einen bisher einmaligen Einblick in das Gefängnis auf Kuba geben. Die Aufzeichnungen schildern das Leben hinter den Gefängnismauern, die Vorwürfe gegen die Inhaftierten sowie deren Behandlung. Und die Unterlagen belegen, dass in vielen Fällen die Anschuldigungen vor einem Straf- oder Militärgericht keinen Bestand gehabt hätten - zu zahlreich sind Widersprüche, zu lückenhaft ist die Beweislage.

Die Dokumente, die als "secret" gekennzeichnet sind, wurden zwischen Februar 2002 und Januar 2007 vom militärischen Geheimdienst verfasst und nun von WikiLeaks sowie US-amerikanischen und europäischen Medien veröffentlicht. Neben der " New York Times" und dem "Guardian" liegen die Unterlagen auch dem SPIEGEL vor, weitere Berichte auf SPIEGEL ONLINE folgen.

Auf Tausenden Seiten wurden Informationen über den Großteil der Gefangenen festgehalten. Insgesamt gibt es zu 758 der 779 Inhaftierten solche Akten der "Joint Task Force", die unter anderem die Empfehlungen darüber enthalten, ob die Männer weiter in Haft bleiben sollten oder freigelassen werden könnten.

Die "Gitmo Files", wie WikiLeaks sie nennt, enthüllen dem Portal zufolge nach genauer Untersuchung, dass "nur einige Dutzend Häftlinge wirklich der Verwicklung in Terrorismus beschuldigt" werden konnten. "Die restlichen waren entweder unschuldige Männer oder Jungen, die aus Versehen festgenommen wurden, oder Fußsoldaten der Taliban, die nichts mit Terrorismus zu tun hatten", heißt es bei WikiLeaks.

Die US-Regierung verurteilte den Geheimnisverrat und bezeichnete die Veröffentlichungen der Dokumente als "unglücklich".

Schilderungen über Vorgehen des Geheimdienste

Die "New York Times" schildert den Fall des Gefangenen 1051, der im Mai 2003 in Afghanistan in der Nähe eines Bombenanschlags festgenommen wurde. Den Dokumenten zufolge glaubten ihm Befrager und Analysten in Guantanamo, dass er keine Kenntnis von "einfachen militärischen und politischen Konzepten" habe - dennoch wurde er von einem Militärtribunal als "feindlicher Kämpfer" eingestuft und erst 2006 nach Hause geschickt.

Der "Guardian" schildert den Fall des Briten Jamal al-Harith, der nach Guantanamo gebracht wurde, weil er in einem Taliban-Gefängnis festgehalten worden war und möglicherweise Wissen über die Verhörmethoden hätte preisgeben können. Ein anderer Brite sei noch gefoltert worden, nachdem die Anschuldigungen gegen ihn fallengelassen worden waren.

Der laut WikiLeaks faszinierendste Teil sind die Schilderungen über die Vorgehensweise des Geheimdienstes. Sie bieten einen detaillierten Einblick in die Arbeitsweise und die Aussagen von Zeugen. Allerdings seien diese mit Vorsicht zu lesen, da sie möglicherweise unter Folter oder aus eigennützigen Motiven zustande gekommen sind.

Details über das Leben in Haft

Die Aufzeichnungen bringen auch neue Details über den wohl bekanntesten Guantanamo-Häftling: Chalid Scheich Mohammed, der nach eigenen Angaben der Strippenzieher der Anschläge vom 11. September 2001 ist. Den Dokumenten zufolge hat er laut "New York Times" im Frühjahr 2002 einen Mann aus Baltimore zu einem Bombenanschlag auf den damaligen pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf angestiftet. Allerdings habe sich dies nur als Test für seine "Bereitschaft, für die Sache zu sterben" herausgestellt.

Die Dokumente liefern unzählige weitere Details über die Situation in Guantanamo: wie Geheimdienstmitarbeiter aus aller Welt in das Lager kamen, um mit Gefangenen zu sprechen, an welchen Krankheiten die Inhaftierten litten, wie sie sich gegenüber den Wärtern verhielten. Die Inhaftierten setzten sich demnach mit den Mitteln zur Wehr, die ihnen blieben: Sie traten in Hungerstreik, warfen mit Fäkalien um sich, beschimpften Wärter.

Unter den Dokumenten sind Unterlagen über die ersten 201 Gefangenen, die zwischen 2002 und 2004 freigelassen wurden und über die bisher nichts an die Öffentlichkeit gedrungen war. Auch über die sieben Männer, die in der Gefangenschaft starben, gibt es Daten.

172 verbliebene Häftlinge als "großes Risiko" eingestuft

Den Dokumenten zufolge werden die meisten der 172 noch Inhaftierten als "großes Risiko" für die Sicherheit der USA und der westlichen Alliierten eingestuft - falls sie ohne angemessene Überwachung entlassen würden. Doch die Unterlagen zeigen aber auch, dass rund ein Drittel der bereits aus Guantanamo entlassenen Häftlinge ebenso eingestuft worden war. Die Männer wurden dann doch in die Freiheit entlassen oder in andere Länder überführt.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hatte US-Präsident George W. Bush den Krieg gegen den Terror ausgerufen. Für Terrorverdächtige richtete seine Regierung auf dem US-Marinestützpunkt Guantanamo Bay im Süden Kubas ein Gefangenenlager ein. Seit Anfang 2002 werden dort vor allem mutmaßliche Taliban- und Qaida-Mitglieder festgehalten, denen die Rechte als Kriegsgefangene verwehrt bleiben.

Durch Berichte über Misshandlungen, Erniedrigungen und Folter von Häftlingen wurde Guantanamo zum Synonym für die willkürliche und unmenschliche Behandlung von Gefangenen.

Derzeit sitzen in dem umstrittenen Gefangenenlager auf Kuba noch 172 Häftlinge ein. Rund 100 von ihnen sollen in ihre Heimat oder in Drittländer abgeschoben werden, 33 Terrorverdächtigen soll wegen Kriegsverbrechen der Prozess gemacht werden. Knapp 50 Häftlinge sollen nach den Plänen der US-Regierung ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Zeit hinter Gittern bleiben.

siu/AP