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Hamburger SV Horst Hrubesch

„Für mich lebt Ernst Happel immer noch“

Sportredakteur
Hrubesch und Happel Hrubesch und Happel
HSV-Trainer Ernst Happel (l.) und Horst Hrubesch (r.) präsentieren am 5. Juni 1983 auf der heimischen Moorweide die Meisterschale und den Europapokal der Landesmeister
Quelle: pa/dpa
HSV-Legende Horst Hrubesch spricht im „Welt”-Interview über seinen Mentor und Freund Ernst Happel, die Mär vom Kettenraucher und Grantler und den bewegenden Abschied von seinem Trainer im Krankenhaus.

Die Welt: 20 Jahre ist Ernst Happel tot. Welche Erinnerungen verbinden Sie noch mit ihm?

Horst Hrubesch: Viele, ich war ja nicht nur sein Spieler sondern zwei Jahre lang auch sein Co-Trainer in Innsbruck. Und viele gute Erinnerungen vor allem. Er wurde ja immer als knurrender Hund hingestellt, aber er war genau das Gegenteil. Nur ein Beispiel: Wir konnten Sonntagmorgen die Kinder mit zum Training nehmen. Happel liebte Kinder, er war verrückt nach ihnen und die Kinder liebten ihn. Er war ein lebensfroher Mensch, Fußballfachmann, einfach ein guter Typ.

Die Welt: Lebensfroh ist mit dem Grantler aus Wien nicht unbedingt in Verbindung zu bringen.

Hrubesch: Weil er sich nicht in sein Privatleben gucken ließ. Ein Grantler oder Schweiger war er sowieso nicht. Ganz im Gegenteil, er war kommunikativ. Wenn ich mit ihm als Spieler gesprochen habe, vermittelte er nie den Eindruck, er sei der Boss und ich sein Untergebener. Es war ein Gespräch unter Gleichen. Er hatte immer versucht, seine Idee zu vermitteln. Wer eine bessere hatte, der musste sie belegen, dann wurde die genommen. Das war seine Stärke

Die Welt: Haben Sie ein Beispiel?

Hrubesch: Vor dem Endspiel im Europapokal 1983 gegen Juventus Turin hat er einen Spaziergang auf einem Golfplatz anberaumt. Jakobs, Kaltz, Magath und ich waren dabei. Es sollte geklärt werden: Platini in Manndeckung nehmen, ja oder nein? Wir haben das Für und Wider abgewogen. Wir waren der Meinung, dass es nicht Not tut und Happel sagte: ,Gut, dann bleiben wir dabei, spielen wir keine Manndeckung’. Hat ja ganz gut geklappt.

Die Welt: Ohne Frage. Sie kamen 1978 zum HSV, Happel 1982. Sie hatten Zebec als Trainer hinter sich und Happel vor sich. Wie war die Stimmung in der Mannschaft?

Hrubesch: Nach Zebec war Happel der absolut richtige Mann. Das hat gepasst und war ein Glücksfall, für den Günter Netzer als damaligem HSV-Manager noch heute ein Kompliment gebührt. Als Happel das erste Mal in die Kabine kam, hatte ich das Gefühl, dass da einer stand, der etwas ganz Besonderes ausstrahlte. Für mich war es, als ging da ein Licht an. Meine Mitspieler sahen es ähnlich. Bei Happel gab es nichts, was in Frage zu stellen gewesen wäre. Wir haben es angenommen und gleich verstanden. Mit wenigen Worten und Gesten hat er alles gesagt, was zu sagen war.

Die Welt: ,Wenn die Spieler reden wollen, müssen’s Staubsaugervertreter werden. Ich brauch nur Fußballer’, hat Happel mal gesagt. Das passt dazu, oder?

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Hrubesch: Nein, das war nur ein Satz für die Öffentlichkeit. Happel war offen für seine Spieler. Besser passt diese Geschichte von mir. Nach einigen englischen Wochen hatte ich zu Beginn einer normalen Trainingswoche zwei Tage lang nicht so gut trainiert. Ich war kaputt, müde. Am Donnerstagnachmittag beim Training ging Happel auf dem Platz an mir vorbei. Er hat mich immer Zauberer genannt und sagte in ganz normalem und ruhigem Ton: ,Du, Zauberer, du hast dich jetzt zwei Tage lang ausgeruht. Langsam musst du mal deinen Arsch bewegen.’ Ohne viel sagen oder vor anderen bloßgestellt worden zu sein, brannten bei mir alle Alarmglocken. Einmalig. Aber eins ist natürlich richtig: Wir kannten vor Happel Mannschaftssitzungen von 30 Minuten und manchmal länger. Und auf ein Mal lernten wir Sitzungen von 40 Sekunden kennen.

Die Welt: Welchen Ruf hatte er damals, als er kam?

Hrubesch: Sein Ruf als erfolgreicher Trainer eilte ihm natürlich voraus. Aber wenn ich ehrlich bin, kannte ich im Grunde nur den Namen und wusste, dass er Österreicher war. Damit etwas Spezielles verbinden konnte ich nicht. Der Happel kommt, mehr war da nicht. Happel hat uns Respekt mitgebracht, und er hat ihn sich selbst auch verdient.

Die Welt: Gilt die Formel: Von Zebec konstruiert, von Happel perfektioniert?

Hrubesch: Bei Branco Zebec war es eine reine Diktatur. Jeder der beiden hat es perfekt gemacht. Doch Happel hat dem ganzen die Krone aufgesetzt. Und er war immer offen für Neues.

Die Welt: Nämlich?

Hrubesch: Können Sie sich vorstellen, dass er anordnet, Aerobic zu machen? Zwei Frauen hat er engagiert, uns ins Studio beordert und wir mussten das den Damen nachmachen. Das war neu, faszinierend und passte perfekt als Ergänzung zum normalen Training. Happel hat immer über den Tellerrand geguckt, fragen sie Günter Netzer.

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Die Welt: Schon gemacht, er sagte damals bei Happels Einstellung, der sei ,ein Genie’. Kein deutscher Trainer würde an ihn heran reichen.

Hrubesch: Günter hatte eine klare Vorstellung, wen er haben wollte. Happel sollte es sein, kein anderer.

Die Welt: Wie war das Zusammenspiel zwischen Netzer und Happel?

Hrubesch: Überragend. Die beiden kommunizierten ohne Probleme. Happel hat ihn nur ziemlich häufig geflachst. Er sagte zu mir mal: ,Zauberer, ich lass den Netzer nachher mit trainieren. Aber ihr spielt ihn nicht ein Mal an’. Haben wir gemacht. Netzer ging nach 15 Minuten auf mich los: ‚Horst, das ist doch auf deinen Mist gewachsen?!’ Happel hat sich totgelacht.

Die Welt: Was macht Happels Magie aus?

Hrubesch: Ich habe festgestellt, dass er immer Spaß an seinen Fußballgeschichten hatte.

Die Welt: Er sah nicht unbedingt danach aus.

Hrubesch: War aber so, können Sie mir glauben.

Die Welt: Nach Happel hat der HSV keinen Titel mehr gewonnen. Hängt das zusammen?

Hrubesch: Schwer zu sagen Vom Zeugwart über die Mannschaft bis hin zum Trainer und Manager: Es hat damals einfach gepasst. Eine absolut intakte und klasse Mannschaft. Da wurde nichts übertüncht, Zusammenhalt wurde gelebt.

Die Welt: 1982 hat das zum Meistertitel geführt, das Europapokal-Finale gegen Göteborg ging aber verloren. Ihr Mitspieler Jimmy Hartwig sprach von einer ,Stimmung wie auf dem Wiener Zentralfriedhof’. Wie reagierte Happel auf so eine Niederlage?

Hrubesch: Wir haben gegen Göteborg im Rückspiel kein Bein auf die Erde gekriegt. Happel hat gar nicht darauf reagiert. Wir wussten ja alle, wir kommen wieder, weil wir eine bärenstarke Truppe hatten. Wir wussten, dass schon bald die nächste Chance kommen würde. Was habe ich in den fünf Jahren an Spielen verloren? Ich glaube, beide Hände brauche ich dafür nicht, um die abzuzählen. Wir haben 36 Spiele in Folge gewonnen und nach der Niederlage gegen Bremen wieder 18 in Serie. Happel hat immer gesagt: ‚Es ist nicht wichtig, warum Du gewinnst. Aber du musst wissen, warum du verloren hast.’

Die Welt: 1982 war auch die letzte Saison von Beckenbauer. Ist einer wie Happel durch Beckenbauer zu beeindrucken?

Hrubesch: Nein, den wollte er ja unbedingt haben. Auf solche Fußballer stand der. Als Nationaltrainer von Holland war er Cruyff und Co. gewöhnt. Einer wie Beckenbauer hat sich Happel untergeordnet und klaglos akzeptiert, dass er nicht mehr Libero, sondern im Mittelfeld spielen musste.

Die Welt: Ein kollektives Bild ist der rauchende Happel auf der Trainerbank. Würde er heute noch mit Zigarette am Spielfeldrand sitzen?

Hrubesch: Den hätte keiner verändert, der würde noch heute genüsslich qualmen. Aber vielleicht ist jetzt mal die Gelegenheit, mit der Mär vom Kettenraucher aufzuräumen.

Die Welt: War er nicht?

Hrubesch: Nein. Er hat in einem Spiel vielleicht fünf, sechs Zigaretten geraucht. Davon sind zwei verqualmt. Man muss wissen, dass er eine einzige Sorte geraucht hat und zwar Belga. Die hat er sich immer aus Belgien kommen lassen. Diese Zigaretten sind dermaßen hart gestopft, dass ein Normalsterblicher gar nicht daran ziehen kann. Die brennen zehn, zwölf Minuten. Es ah also danach, aus, als ob er eine nach der anderen durchziehen würde, waren aber in Wirklichkeit weniger. Aber er stand zu allem, was er gemacht hat und alles, was er machte, hat er leidenschaftlich gemacht.

Die Welt: Der hintere Teil des Mannschaftsbusses war der Raucherbereich. War Happel oft hinten?

Hrubesch: Nein, der hat immer vorn geraucht.

Die Welt: Happel steht auch für Wein und Campari, einer Freundin in Norderstedt und einer Ehefrau in Wien und dem Hang zum Glücksspiel.

Hrubesch: Was ist schlimm daran? Jeder hat es gewusst. Und der ist ja auch nicht jeden Abend zocken gegangen. Wenn wir international gespielt und in einem Hotel gewohnt haben, wo ein Casino drin war, ist der abends da hin gegangen. Happel stand dazu. Die Frage ist doch: Wer holt sich wo seine Ablenkung? Bei Happel war das im Casino und in Wien im Kaffeehaus beim Kartenspielen mit seinen alten Kumpel. Wir haben in Berlin 3:1 gewonnen. Wir hatten abends Ausgang, Happel ging mit uns und bog ins Casino ab. Ich kam gegen halb drei Uhr wieder zum Hotel, da trudelte gerade auch Happel wieder ein. Das war für uns nichts Außergewöhnliches.

Die Welt: Außergewöhnlich war seine Spielanalyse nach dem Sieg gegen Bochum zum Abschluss der Hinserie: ‚Wünsche allen Anwesenden Frohe Weihnacht. Danke.’

Hrubesch: Ein original Happel. Was brauchte es auch mehr? Wir haben das Spiel klar gewonnen, die Hinserie war zu Ende und Weihnachten stand vor der Tür.

Die Welt: Netzer hat mal gesagt, Happel sei der menschlichste Schleifer, den er je getroffen hat.

Hrubesch: Genau so war es. Aber Schleifer in Anführungsstrichen, denn er hat nicht geschliffen. Sein Training war nicht überhart. Er hat die Qualitäten gesehen, die einer hatte und er hat sie genutzt. Ich mache heute nichts anderes. Wenn ich sehe, dass mir junge Spieler etwas anbieten, dann nehme ich es.

Die Welt: Wäre er in die heutige Zeit zu transferieren?

Hrubesch: Selbstverständlich. Wir reden von einem Trainer, der eine Ausnahmeerscheinung war.

Die Welt: Wie war Happel denn vor einem Ausnahmespiel wie 1983 im Europapokalfinale gegen das Starensemble von Juventus Turin?

Hrubesch: Genau wie immer. Da gab es keine Veränderung, auch in seinem Wesen nicht. Der war nicht nervös oder hat mehr geraucht. Das war, als würden wir gegen den VfL Bochum spielen. Er hat mir mal gesagt: ,Zauberer, ein Finale gewinnst du nur, wenn alle fit sind. Wenn du Spieler hast, die fit gespritzt werden müssen, gewinnst du kein Finale.’ Wir hatten keine Verletzten und nur einen Gesperrten, Jimmy Hartwig. Mich hat das wieder eingeholt.

Die Welt: Warum?

Hrubesch: Ich habe 2009 nach dem gewonnenen EM-Finale mit der U 21 zu meinem Kollegen Thomas Nörenberg in der Nacht gesagt, mir fällt gerade der alte Happel-Spruch wieder ein. Hätten wir uns das vor dem Spiel bewusst gemacht, wären wir nicht so nervös gewesen.

Die Welt: Waren Sie ihm böse, dass Sie 1983 gehen mussten?

Hrubesch: Nein, er hat mich ja sogar nach Lüttich vermittelt. Mit der Verpflichtung von Wuttke und Schatzschneider war klar, dass der Klub Hrubesch und Bastrup finanziell nicht auch noch stemmen konnte.

Die Welt: Glücklich wurde er mit den beiden nicht. Er sagte mal er habe Wuttke und Schatzschneider ‚aufs Schlimmste erniedrigt“. Das seien ,Parasiten, die wir verkaufen müssen’ und ,Wuttke hat man ins Gehirn geschissen’.

Hrubesch: Die müssen ihn dann aber auch bis zur Weißglut gereizt haben.

Die Welt: Wuttke konterte, Happel sei ,ein verbitterter, alter Mann, der die Menschen verachtet’.

Hrubesch: Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich habe mal mit Dieter Schatzschneider darüber gesprochen. Der sagte, die hätten sich bloß zu blöd angestellt. Wer in so eine Mannschaft kommt, für den war es ein Geschenk, um den internationalen Durchbruch schaffen zu können.

Die Welt: 1987 war dann auch für Happel Schluss. Das Pokalfinale gegen die Stuttgarter Kickers stand an. Happel sagt, wer gegen die nicht gewinnt ,der gehört erschossen’. Der Sieg gelingt, Happel kommt dennoch nicht zum Bankett ins Hotel Intercontinental und auch nicht zum Empfang des Hamburger Bürgermeisters. Er setzt sich in den Flieger nach Wien und das war’s. Kein Abschied, nichts. Typisch?

Hrubesch: Ja, es war nie seine Welt, sich feiern zu lassen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er zu der Zeit schon gewusst hatte, dass er an Lungenkrebs erkrankt war. Ich gehe davon aus, dass er selber es da schon gewusst hatte und deswegen zurück in die Heimat wollte. Unter normalen Umständen wäre er wohl nicht gegangen.

Die Welt: Am Ende ist er Nationaltrainer Österreichs gewesen. Vier Tage nach seinem Tod ist das Spiel Deutschland. Seine Kappe liegt die ganzen 90 Minuten auf der Trainerbank. Was haben Sie bei seinem Tod gedacht?

Hrubesch: Normalerweise würde ich das Wort Freund benutzen. Das ist mir aber zu wenig. Ich bin dankbar, dass ich kennen lernen durfte. Ich habe es ja bis kurz vor seinem Ende mitgemacht. Ich habe ihn das letzte Mal zwei Wochen vor seinem Tod im Krankenhaus besucht, als er mir strikt verboten hatte, noch einmal zu kommen ,Brauchst du nicht mehr, Zauberer. Das war dein letzter Besuch’, hat er gesagt. Ich habe nicht mehr nachgefragt, warum. Als er noch Chemotherapie bekommen hat, sagte er mir mal: ,Ich habe 65 Jahre gelebt. Da brauchen andere 100 für.’ Mich hat es tief getroffen, obwohl ich es lange vorher wusste. Ich habe seinen Tod lange verdrängt. Für mich lebt er immer noch. Weil ich so viele gute Erinnerungen an ihn habe, lasse ich ihn in meinen Erinnerungen weiter leben. Ich bin stolz darauf, dass ich ihn kennen lernen durfte. Das war hilfreich in meinem Leben.

Die Welt: Nun ist er 20 Jahre tot und der HSV hat mit Fink schon den 20. Trainer. Was sagt das über ihren alten Klub aus?

Hrubesch: Ich weiß auch nicht, was da passiert ist. Die Voraussetzungen waren da. Aber dann war Netzer nicht mehr da, Klubchef Klein nicht mehr, Happel auch nicht, alles wurde neu besetzt. Neue Ideen, vielleicht nicht die richtigen, ich weiß es nicht. Was mir nach Happels Abgang 1987 gefehlt hat, war Identifikation wie bei Bayern München. Tradition weiterleben zu lassen, klare Vorgaben in den vergangenen zwei Jahrzehnten, das war nicht mehr da. Netzer mit der damaligen Klubführung haben vorgegeben, wo sie hin wollten und was ihre Philosophie ist. Das fehlt mir seit langem. Ich blicke da nicht so ganz durch, wo die Reise hingehen soll.

Die Welt: Warum sind Sie nie Trainer des HSV geworden?

Hrubesch: Weil mich keiner gefragt hat, ganz einfach.

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