Die Bayreuther Festspiele haben schnell einen Ersatz für den am Samstag abgereisten russischen Sänger Evgeny Nikitin gefunden: Laut der online aktualisierten Besetzungsliste für die Oper Der fliegende Holländer soll der Koreaner Samuel Youn die Titelpartie bei der Premiere am Mittwoch singen. Nikitin hatte auf seinen Auftritt zur Eröffnung der Wagner-Festspiele verzichtet, nachdem die ZDF-Kultursendung Aspekte am Freitag in einem Porträt enthüllt hatte, dass der Bassbariton früher ein großes tätowiertes Hakenkreuz auf der Brust trug.

Samuel Youn ist seit 1999 Ensemblemitglied der Oper Köln und hat den Holländer dort bereits gesungen. Bei den Bayreuther Festspielen war er schon in Parsifal , Tannhäuser und Lohengrin zu hören. Youn ist für alle sechs Aufführungen des Fliegenden Holländers in Bayreuth bis zum 24. August eingeplant. Er war am Samstag bereits bei der Generalprobe eingesprungen.

Der Beitrag in Aspekte hatte Evgeny Nikitin in Archiv-Filmaufnahmen aus den 90er-Jahren als Schlagzeuger einer russischen Heavy-Metal-Band gezeigt, in denen ein Hakenkreuz und eine andere tätowierte Rune, die auch von Nazis verwendet wird, an seinem Körper zu sehen waren. "Es gehörte einfach zu unserer Underground-Kultur, denn Rockmusik ohne Tattoos ist ehrlich gesagt einfach nicht seriös", sagte der Sänger in dem Beitrag rückblickend. In der Jugend mache doch jeder "einige sehr gute, verrückte Sachen".

Am Samstag trafen sich die Leiterinnen der Festspiele mit Nikitin; offensichtlich verlangten Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier in dem halbstündigen Gespräch seinen Verzicht auf den Auftritt, um ihm einen Rauswurf zu ersparen. Anschließend veröffentlichte Nikitin auf der Homepage der Festspiele eine Erklärung , mit der er alle seine Auftritte in Bayreuth absagte:

"Ich bin mit Anfragen zu den Tattoos, die ich seit längerem trage, insbesondere zu deren Bedeutung und Hintergründen konfrontiert. Ich habe mir die Tattoos in meiner Jugend stechen lassen. Es war ein großer Fehler in meinem Leben und ich wünsche mir, dass ich es niemals getan hätte. Mir war die Tragweite der Irritationen und Verletzungen nicht bewusst, die diese Zeichen und Symbole besonders in Bayreuth und im Kontext der Festspielgeschichte auslösen."

Über das Hakenkreuz hat sich Nikitin allerdings längst eine andere bunte Tätowierung stechen lassen. Der 1973 in Murmansk geborene Sänger ist immer noch begeisterter Heavy-Metal-Musiker und trägt am ganzen Körper Tattoos – sogar an den Händen, wie im Aspekte -Interview zu sehen war.

Tattoos haben "nur spirituelle Bedeutung"

Der Bild am Sonntag sagte Nikitin: "Die Zeichen haben für mich überhaupt keine politische, sondern nur eine spirituelle Bedeutung. Ich war nie Teil einer politischen Partei und bin es auch heute nicht." Er habe sich die Tätowierungen zwischen 1989 und 1991 stechen lassen und die Motive unter anderem aus Büchern über nordische Mythen ausgewählt. Es sei ihm nicht klar gewesen, dass seine Tattoos im Zusammenhang mit Nationalsozialismus oder mit Neonazis gebracht werden können. Ihm sei bewusst, dass "die in Nazi-Deutschland verübten Verbrechen zu den schrecklichsten Verbrechen gehören, die je verübt wurden".

Man verpflichte eine Stimme und was jemand auf der Haut trage, sei nebensächlich, sagte Festspielsprecher Peter Emmerich am Samstag. Dennoch akzeptiere die Festspielleitung die Konsequenzen, die mit Nikitins Rückzug vier Tage vor der Premiere verbunden sei. Das gesamte Team der Holländer -Produktion sehe sich nun großen Herausforderungen gegenüber. Aus Sicht des Regisseurs Jan Philipp Gloger ist die künstlerische Beschädigung der Inszenierung selbst nach einer erfolgreichen Einarbeitung von Ersatzsänger Samuel Youn "immens" und eventuell nicht mehr restlos abzuwenden. Auch Star-Dirigent Christian Thielemann muss sich auf einen neuen Mitspieler einstellen – nach der Orchesterhauptprobe hatte er noch von der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten geschwärmt.