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Wehrmacht Hitlers jüdische Soldaten

Vom Soldaten bis zum General - zehntausende Männer jüdischer Abstammung standen für Hitler unter Waffen - auch Alt-Kanzler Helmut Schmidt. Viele dachten, dadurch ihren Familien helfen zu können.

Die Bilder des Holocaust, des millionenfachen Mordes sind ins Bewusstsein eingebrannt. Die Verbrechen der Wehrmacht in einem erbarmungslos geführten Vernichtungskrieg sind dokumentiert. Doch der Einsatz von Zehntausenden Männern jüdischer Abstammung im Waffenrock der deutschen Armee, vom NS-Regime entrechtet und durch die Rassengesetze als minderwertig verunglimpft, war bislang weitgehend unbekannt.

Für Hitler unter Waffen

Vom einfachen Soldaten bis zum General oder Admiral mit höchsten Auszeichnungen - nach Forschungen des US-Historikers Bryan Mark Rigg standen mindestens 150.000 Männer jüdischer Abstammung für Hitler unter Waffen an den Fronten.

Interview mit Bryan Mark Rigg

Wie haben die Veteranen auf den Widerspruch reagiert, trotz jüdischer Abstammung in den Reihen der deutschen Wehrmacht gekämpft zu haben?

Viele sitzen noch heute zwischen zwei Stühlen. Es sind bei ihnen sehr viele Dinge wieder hochgekommen, die sie verdrängt hatten. Sie wurden quasi über Nacht als minderwertig, als "Mischlinge", qualifiziert. Noch heute steht für viele die Frage im Raum, woher kommt meine Identität, von meinen Eltern, vom Staat oder von meiner Religion.

Warum haben sie in der Uniform eines Staates gedient, der sie durch seine Rassengesetzgebung zu Feinden deklariert hatte?

Auch sie waren - vor allem als junge Menschen, die sie ja in der Mehrzahl damals gewesen sind - angesteckt von den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Erfolgen Hitlers. Viele von ihnen konnten die Auswirkungen der "Rassegesetze" in der ohnehin widersprüchlichen Praxis gar nicht übersehen oder wollten es nicht, weil das für sie einfach nicht vorstellbar war. Viele haben zudem versucht, ihren Familien dadurch zu helfen, dass sie sich als tapfere Soldaten bewährten. Damals konnten sie nicht wissen, dass ihre Bemühungen vielfach umsonst waren. Deportationen von Verwandten konnten zwar aufgeschoben werden; oftmals erst nach dem Krieg erfuhren sie, dass es auf Dauer nichts genützt hat. Viele "Mischlinge" haben nahe Angehörige verloren, während sie im Feld standen. Einige dieser Soldaten wussten, dass Juden und "Mischlinge" deportiert wurden und unauffindbar verschwanden, doch von ihrer systematischen Vernichtung erfuhren sie damals nichts."

Wie hat sich die Forschungsarbeit für das Buch gestaltet?

Historiker beiderseits des Atlantiks, die ich anfangs nach ihrer Meinung zum Erfolg meiner geplanten Untersuchung befragt hatte, äußerten sich sehr skeptisch oder ablehnend und sagten sinngemäß "Da wirst Du nicht viel finden". Ich war zunächst ganz von dem Wissen der wenigen Zeitzeugen abhängig, die ich in Deutschland benannt bekam und traf. Anfangs schien es nur wenige Überlebende zu geben, doch dann wurde eine Art von Schneeballsystem wirksam, und ich erhielt immer mehr und immer rascher Namen. Ich bin dann mit einem Rucksack ausgerüstet auf dem Fahrrad oder mit Bussen und Bahn durch Deutschland gefahren, um Interviewpartner aufzusuchen. Notfalls habe ich auch auf Parkbänken geschlafen, wenn das Geld nicht für eine Unterkunft reichte. Doch ich dachte, ich muss das tun. So habe ich schließlich 500 Stunden Interviews mit 430 Leuten geführt und rund 30 000 Seiten Dokumente, Briefe, Tagebücher und Fotos gesammelt.

Mit einer "Deutschblütigkeitserklärung", mit der "Genehmigung" Hitlers oder mit falschen Papieren: Nach Interviews mit mehr als 400 ehemaligen Soldaten geht Rigg in seiner Studie "Hitlers jüdische Soldaten" den Motiven dieser Schicksale in einer Zeit der Unterdrückung und Ächtung nach. Auf 437 Seiten (Schöningh Verlag, Paderborn) beschreibt er die unterschiedlichen Antriebskräfte, die historischen Hintergründe und die Ausnahmesituation der Betroffenen unter der Diktatur.

Vom Regime als "Mischlinge" eingestuft

Im September 1935 wurden Menschen jüdischer Abstammung ihrer Rechte durch die so genannten Nürnberger Gesetze beraubt, vom Regime als "Mischlinge" zu minderwertigen Menschen abgestempelt und aus der Gesellschaft ausgeschlossen. "Ihre Gefühle der Scham, der Minderwertigkeit und des Selbsthasses resultierten durchweg daraus, dass sie von den Nazis als 'Juden' bezeichnet wurden", schreibt Rigg über die Soldaten. "Vor allem diese 'Mischlinge' betrachteten sich nicht als eine besondere Gruppe - bis Hitler sie als solche einstufte."

Dass Männer tapfer an der Front kämpften, während jüdische Familienangehörige ermordet wurden, waren keine Einzelfälle, schreibt Rigg. Als Teil der deutschen Gesellschaft groß geworden, standen einige in ihrem Selbstverständnis als Deutsche an den Fronten, und sie kämpften entschlossener als andere Soldaten, in der Hoffnung, wieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden.

"Begeisterte Deutsche"

"Viele 'Mischlinge' waren einfach begeisterte Deutsche." Einige bekannten auch, ohne die Stigmatisierung wären sie selbst Nationalsozialisten geworden. Einige kämpften in ihrer Tradition als Soldaten, zum Beispiel Offiziere, die Hitler benötigte wie den Generalfeldmarschall Erhard Milch, nach der Definition der Nationalsozialisten "Halbjude". Auch andere Soldaten jüdischer Abstammung dienten als Offiziere in der Armee, wie zum Beispiel Alt- Bundeskanzler Helmut Schmidt. Viele dachten, durch Tapferkeit an der Front ihren Familien gegen die Verfolgung durch das NS-Regime zu helfen. Andere wiederum sahen mit falschen Papieren den sichersten Platz in den Reihen der Verfolger. "Der sicherste Ort war damals im Rachen des Wolfes", bekannte ein Interviewpartner.

"Mischlings- und jüdische Soldaten dienten nicht nur in einer Wehrmacht, die einem Regime unterstand, das sie als rassisch minderwertige Wesen hasste; viele erlebten auch das Verschwinden und gelegentlich den Tod ihrer Verwandten", schreibt Rigg. Doch "nur wenige sahen Greueltaten mit eigenen Augen". Über das Ausmaß der Vernichtung, ist sich der Yale- und Cambridge-Absolvent sicher, wusste die überwiegende Mehrheit seiner Gesprächspartner nichts. Erst nach 1945 erfuhren sie vom Umfang des Massenmordes.

Hitler wachte über ihr Schicksal

Die Tatsache, dass mindestens 150 000 Soldaten jüdischer Abstammung im Waffenrock der deutschen Armee an den Fronten standen und Hitler selbst akribisch über deren Schicksal wachte, ist für Rigg ein Indiz dafür, dass der Diktator über den Verlauf des Holocaust genauestens im Bilde war. "Hitler ordnete den Holocaust an und überwachte seine Durchführung, obwohl bis heute keine von ihm unterzeichnete Anweisung mit dem Befehl zur 'Endlösung' gefunden worden ist."

Für den deutschen Historiker Eberhard Jäckel ist der Waffendienst von Soldaten jüdischer Abstammung parallel zur Vernichtung der europäischen Juden nicht so überraschend, wie es auf den ersten Blick scheint. "Das Geschichtsbild der breiteren Öffentlichkeit kennt die Juden nur als Verfolgte, Vertriebene und Ermordete", schreibt Jäckel in seinem Geleitwort zu Riggs Buch, das 2002 im Original erschien. Es werde jedoch nicht berücksichtigt, "dass die deutschen Juden ein hochintegrierter Teil der deutschen Gesellschaft geworden waren". Der Verdienst von Rigg, so urteilt Jäckel, ist, dass er als erster die zahllosen Einzelfälle systematisch sammelte und das ganze Bild im Zusammenhang präsentiert.

Oliver Pietschmann/DPA DPA

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