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Kachexie

Gefährliche Abwärtsspirale

11.06.2014  09:49 Uhr

Von Maria Pues, Wiesbaden / Nicht nur bei Krebs, sondern auch bei anderen Erkrankungen, wie Herz- oder Lungenerkrankungen, kann es zu einer Kachexie kommen. Durch den Gewichtsverlust können die Betroffenen in einen Teufelskreis geraten.

Etwa 10 bis 15 Prozent der Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz (CHF) entwickeln eine Kachexie. Dabei ist das Geschehen komplexer, als es auf den ersten Blick den Anschein hat: Der massive Gewichtsabbau entwickelt sich aufgrund eines katabolen-anabolen Ungleichgewichts, dessen Ursachen vielfältig sind. So gelingt es häufig nicht, das Geschehen durch eine Einzelmaßnahme in den Griff zu bekommen. Dabei droht ein Teufelskreis: Je schlechter die CHF kompensiert ist, umso schwerer fällt es Patienten, sich gut zu ernähren. Je schlechter die Ernährung, umso schlechter die Prognose der CHF. Hintergründe und mögliche Ansätze zur Prävention und Therapie erläuterte Professor Dr. Johann Ockenga, Bremen, auf dem Internistenkongress in Wiesbaden.

Von einer kardialen Kachexie spricht man definitionsgemäß dann, wenn Patienten mit CHF, die nicht an stauungsbedingten Ödemen leiden, ungewollt mindestens 6 Prozent vom prämorbiden Gewicht verlieren. Diese komplizierte Definition ist notwendig, denn für die korrekte Diagnose der Kachexie ist der ungewollte Gewichtsverlust durch Abbau von Muskelmasse vom gewollten Gewichtsverlust durch erfolgreiche Diurese abzugrenzen. Denn der Gewichtsverlust könne auch Zeichen einer erfolgreichen CHF-Behandlung sein, wenn der Patient Ödeme entwickelt hatte, gab Ockenga zu bedenken.

 

Dass bei einem starken Gewichtsverlust nicht nur die Muskulatur des Bewegungsapparates schwindet, sondern auch die des Herzens, erscheint mehr als plausibel, konnte aber durch Studien bisher nicht belegt werden, berichtete Ockenga weiter. Zeigen ließ sich hingegen, dass die Mortalität von CHF-Patienten mit Kachexie nach zwei Jahren doppelt so hoch ist wie bei gut ernährten Patienten. Ockenga wies auf einen weiteren interessanten Befund hin: Während adipöse Patienten gegenüber der normalgewichtigen Bevölkerung eine höhere Mortalität haben, ist dies bei CHF-Patienten umgekehrt. Mit steigendem Body-Mass-Index nimmt bei ihnen die Mortalität ab.

 

Kachexie bei COPD

 

Auch bei Patienten mit einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) kommt es häufig zu einer Kachexie. Dabei ist der Anteil der Betroffenen noch größer als bei CHF: Rund 20 bis 35 Prozent von ihnen zeigten Anzeichen einer Mangelernährung, sagte Ockenga. Der Anteil steigt mit zunehmendem Schweregrad der COPD und beträgt bei Patienten, die mit einem akuten respiratorischen Versagen in die Klinik eingewiesen werden, etwa 70 Prozent. Dass Kachexie und COPD sich gegenseitig teils dramatisch verschlechtern können, leuchtet ein, denn mit der Muskelmasse schwindet auch die Kraft zum Atmen. Dies wiederum verschlechtert die Möglichkeiten der Patienten, sich im gewünschten Maße mit allen wichtigen Lebensmitteln zu versorgen.

Die Mangelernährung führt unabhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung zu einer ganzen Reihe von Veränderungen im Stoffwechsel, die wiederum eine Vielzahl von Symptomen zur Folge haben können. Eine Veröffentlichung von Forschern um Professor Dr. Kamyar Kalantar-Zadeh von der University of California in Irvine (Cachexia Sarcopenia Muscle (2013) 4: 89-94) zeigt, dass verschiedene Störungen von Herzrhythmusstörungen, Störungen der Thrombozytenfunktion mit thromboembolischen Ereignissen über eine Immundysfunktion (verminderte humorale und zelluläre Funktion) bis hin zur Störung der intestinalen beziehungsweise pulmonalen Barriere auftreten können. Zudem kann die Muskelkraft reduziert sein, was auch die Atemmechanik betrifft und dazu führen kann, dass Lungenabschnitte kollabieren können oder vermehrt Infektionen der Lunge auftreten. Weiterhin weisen kachektische Patienten häufig einen Hypothyreodismus, Mangel an Mikronährstoffen (Vitamin D, Selen, Zink) und psychosoziale Veränderungen (Depression, Anorexie) auf.

 

Dass Metabolismus und Immunreaktionen eng vernetzt ablaufen, erklärt die häufig gemachte Beobachtung, dass Einzelmaßnahmen meist nicht ausreichten, um das Befinden des Patienten zu verbessern, berichtete Ockenga. Oft komme über einen der zahlreichen beteiligten Mechanismen eine erneute Verschlechterung zustande. Prävention und Therapie müsse sich daher am Zustand des jeweiligen Patienten orientieren.

 

Die enge Vernetzung von Stoffwechsel und Immunsystem sei entwicklungsgeschichtlich zu erklären: So bildeten Fettgewebe, Leber und Immunsystem bei der Taufliege Drosophila melanogaster noch ein einziges Organ. Beim Menschen sind es drei getrennte Organe, die über Hormone und Transmitter aber immer noch in enger Verbindung zueinander stehen.

 

Hier können bei CHF-Patienten mit Kachexie verschiedene neurohumorale Veränderungen auftreten: So waren in einer Studie die Adrenalin- und Nor­adrenalin-Spiegel infolge sympathischer Aktivierung deutlich erhöht. Die Patienten wiesen außerdem erhöhte Tumornekrosefaktor-Spiegel und erhöhte Cortisolspiegel auf. Eine andere Untersuchung zeigte, dass bei CHF-Patienten mit NYHA III und IV die Darmwanddicke und -Permeabilität erhöht sind, sodass bakterielle Endotoxine leichter passieren können.

 

Kurzfristig gelte es, die Patienten metabolisch zu stabilisieren. Mittel- und langfristig müsse einer weiteren Verschlechterung vorgebeugt beziehungsweise der Ernährungszustand des Patienten verbessert werden, betonte Ockenga. Dabei könne die Prävention einer kardialen Kachexie durch ACE-Hemmer oder Betablocker erfolgen. In einer Studie mit COPD-Patienten mit Anorexie habe sich Ghrelin als wirksam erwiesen, die Nahrungsaufnahme, das Körpergewicht und die Muskelmasse zu steigern. Supplemente zusätzlich zur normalen Ernährung bewirkten zwar eine auf den ersten Blick eher geringe Zunahme an Körpergewicht und Lungenfunktion. Diese hatte jedoch bereits eine deutliche Verbesserung der Gehstrecke, des Symptomscores und des Wohlbefindens zur Folge. Moderate Effekte seien von einer erhöhten Kalorien- und Proteinzufuhr zu erwarten, die optimalerweise mit einer physikalischen Therapie kombiniert werden sollte. Mehr zu essen und ein angepasstes körperliches Training stellt für viele Patienten mit CHF oder COPD jedoch eine große Herausforderung dar. Neben weiterer Unterstützung können dies – je nach Symptomatik – einige Tipps erleichtern (siehe Kasten). /

Tipps für die Patientenberatung

Ernährungsempfehlungen bei verschiedenen Symptomen:

 

Appetitmangel:

  • hochkalorische Mahlzeiten
    Anreichern der Speisen mit Butter/Margarine, Öl und/oder Nüssen
  • häufig kleine Mahlzeiten/Snacks (6 bis 8) über den Tag verteilen
  • Lieblingsspeisen/-snacks immer griffbereit haben

 

Dyspnoe:

  • vor der Mahlzeit ruhen
  • vor dem Essen Bronchodilatator verwenden und eventuell Sekret­reinigung durchführen
  • langsam essen und Dreifußstellung (vorgebeugte Haltung bei etwa schulterbreitem Stand der Füße) zum Essen einnehmen
  • Lippenbremse zwischen den einzelnen Bissen anwenden
  • gegebenenfalls auf Fertig-/Mikrowellengerichte zurückgreifen

 

Frühe Sättigung:

  • hochkalorische Mahlzeiten
  • vor und während der Mahlzeit nur wenig trinken
  • möglichst erst eine Stunde nach dem Essen schluckweise trinken

 

Müdigkeit:

  • vor dem Essen ruhen
  • griffbereite Mahlzeiten, zum Beispiel Fertiggerichte, für Zeiten verstärkter Müdigkeit oder Krankheits-Exazerbationen
  • in Zeiten von weniger Müdigkeit Versuch, größere Portionen zu verzehren

 

Überblähung:

  • häufiger kleine Mahlzeiten über den Tag verteilt
  • hastiges Essen vermeiden
  • kohlensäurehaltige Getränke vermeiden

 

Verstopfung:

  • ballaststoffreiche Lebensmittel oder Einsatz von pulverförmigen Ballaststoffen
  • Trinkmenge erhöhen
  • im Rahmen der Möglichkeiten Bewegung erhöhen
  • eventuell Einsatz von Laxanzien

 

Zahnprobleme:

  • weiche Speisen mit hoher Energiedichte
  • Zahnarztbesuch

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